Tagelied

Die Venus
bald schon verblasst sie vor dem ersten Sonnenstrahl
Die Lerche
trillert ihr frisches Lied in den Frühlingsmorgen
Die Sommervögel
schöpfen den letzten Tau von den Rosen:

er kommt
er kommt
der Tag

Die Laute ist verklungen
doch ihr süßes Spiel noch nicht bis zum bitt‘ren Ende
der Saft vom Granatapfel
tropft noch feucht vom nackten Arm
die Lilie liegt gebrochen
ihr Duft noch flüchtig im Raum
Im letzten Liebesspiel vereint, schreit er ’s in sich hinein:

sie kommt
sie kommt
die Frau

Dann: der Wecker!
Angestellte
eilen zur Arbeit
Dienstverlehner
tun ihre Pflicht
Off‘ne Stellen
werden besetzt
Direktorenstühle:
auch.

er geht
er geht
der Mann

Gedanken zum holländischen ‘SinterKlaas’.
SinterKlaas ist in Holland die gebräuchliche Abkürzung für Sankt Nikolaus. Dieser Heilige ist auch in der Schweiz wohl bekannt. Zahlreiche Abbildungen, Legenden – auch aus dem Mittelalter – zeugen von seiner Bekanntheit. Alte Geschichten, Legenden, Märchen haben die Eigenschaft sich zu verändern und sich anzupassen. Das gilt natürlich auch für den Patron der Kinder.

In Holland lautet die Geschichte:
Sinterklaas lebt in Spanien mit seinen Dienern, den ‚Schwarzen Petern‘, den ‚Zwarten Pieten‘. Jedes Jahr um diese Zeit kommt er mit dem Boot nach Holland. Mit seinem Gefolge tourt er durch Holland, begrüsst die Kinder, nimmt Kinderwünsche entgegen und am 5. Dezember verschenkt er allen Kindern gleichzeitig – sich selber also ins unendliche teilend – die Geschenke, die auf den Wunschlisten standen. (In den Strassen ergibt dies ein äusserst lustiges Bild: Überall hört man lautes Pochen an Türen und Fenstern und anschliessendes Wegrennen, nachdem man die Geschenke hingestellt hat. Die Kinder sollten denken, Sinterklaas habe die Geschenke nur hingestellt und in seiner Eile sei er gleich wieder weitergelaufen.)

Mit dem Kommen von Sinterklaas gibt es jedes Jahr eine Kontroverse um seine Begleiter. Aber die Kontroverse scheint dieses Jahr – zusammen mit Jubiläen und Ausstellungen zur kolonialen Vergangenheit Hollands und der Sklavenfrage – besonders gross und verbreitet. Nach verlaut wurde die Diskussion selbst in der UNO geführt, in einer für mich völlig unverständlichen Absenz von Geschichte und Tradition.

Aber auch wenn wir – anders als Ms. Sheperd von der UNO – die Geschichte der Zwarte Pieten genauer betrachten, ergibt sich ein eigenartiges Bild dieser Figuren. Zumindest in meinen Augen.
Die Antwort, warum die zwarte Pieten schwarz sind, lautet: Weil sie durch den Schornstein mussten. Das ist eine Erklärung, die in der Schweiz ebenfalls geläufig ist und da für die Schmutzlis, in Deutschland für den Knecht Ruprecht, gilt.
Aber warum dann diese ‚perfekte‘ Schwärze? Und warum die roten Lippen und das Kraushaar?
Die Assoziation mit schwarzen Diener oder Sklaven ist hier in Holland nicht zu verleugnen.
Dasselbe gilt auch für die Bewegungen die die zwarte Pieten vollbringen. Anders als der betont ruhige ältere Herr in seinem Bischoffsgewand auf seinem weissen Schimmel namens ‚Amerigo‘, tanzen und springen die Pieten unruhig in einem fort, sie lachen, machen Spässe, verteilen Süssigkeiten.
Auch hier gibt es – wie in der Schweiz – eine drohende Komponente: „böse Kinder bekommen die Rute zu spüren.“ Aber nicht von den zwarten Pieten auf der Strasse. Die tanzen, verteilen Süssigkeiten und so weiter.
Ebenfalls auffallend für mich ist die Hofhaltung der zwarte Pieten. Auch wenn das Ganze lustig und voller Schabernack ist, wird doch eine äusserst strenge Hierarchie propagiert. Es geht von Hauptpiet, Hofpiet, Pferdepiet bis hin zum Dienerpiet. Natürlich sind sich Holländer eine königliche Hofhaltung gewöhnt, aber trotzdem bleibt es eine Persiflage, in meinen Augen selbst eine Art Fasnachtsdarstellung.

So wie ich, als Ausländischer Beobachter, die Sache beschreibe, müsste es deutlich sein. Die zwarte Pieten sind zu stark mit schwarzen Sklaven verbunden um noch politisch Korrekt zu sein. Trotzdem kann es auch anders betrachtet werden.

Durch die Geschichte Hollands, wo der Protestantismus quasi die Staatsreligion war, wird ein mystischer Glaube an katholischen Legenden und Geschichten völlig unterbunden. Das gilt natürlich auch für viele andere Länder. Schliesslich entspricht dies nach der Renaissance dem allgemeinen ‚aufgeklärten‘ Weltbild. Aber meiner Meinung nach, war die ‚Entmystifizierung‘ von christlichen Legenden besonders stark in den Niederlanden.

Auch wenn von protestantischer Seite in Holland schon früh und immer wieder versucht wurde das Sinterklaasfest zu verbieten, gelang dies offenbar nie. Im Gegenteil: heutzutage ist es ein allgegenwärtiges holländisches Kinderfest, welches in vielen Kreisen gefeiert wird und in dieser Zeit bis am 5. Dezember täglich im nationalen TV erscheint.
Die Betonung muss meiner Meinung nach auf ‚Kinderfest‘ liegen. Holländer lieben Kinder. Sinterklaas ist vor allem ein Fest für Kinder. Die Musik, das Boot, die Verkleidung und ganz bestimmt die Erwartung ist für die Kinder. Nicht für den forschenden Volkskundler, nicht für den begriffslosen Ausländer, das Fest ist für Kinder.
In diesem Fest spielen die Erwachsenen den Kinder etwas vor. Das Vorspielen gelingt naturgemäss viel besser in einem uniformen und unerkennbar machenden Tenü. Wenn eine einzelne Gruppe zum Zweck von Kinderbelustigung dargestellt wird ist es leider nur logisch, dass sich diese Gruppe in der Ehre verletzt fühlen muss. Aber es ist nicht die Idee.
Die Idee ist viel mehr das unerkennbar Aufgehen in einer Gruppe von Gleichgesinnten als Spektakel für die Kleinsten der Gesellschaft.
Es ist politisch nicht korrekt aber Märchen sind dies auch nicht.

Aus meiner Sicht vermisse ich den mystischen Gehalt in der Geschichte um Sankt Nikolaus aber ich zeige Verständnis in der Idee eines Kinderfestes, welches nur für Kinder ist. In der Tat wird für diese Zielgruppe die Erwartung an das Kommen von Sinterklaas besonders effizient kreiert. Wochenlang davor werden Lieder gesungen, Gedichte geschrieben und gebastelt. Die Kinder besuchen Sinterklaas in den Städten und müssten doch tatsächlich beeindruckt sein vom ganzen Spektakel rund um Sinterklaas.

Raoul Thoos

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